Verantwortung übernehmen (alle)

Felix, Montag, 30.06.2025, 09:35 (vor 22 Stunden, 19 Minuten) @ Felix

aus der Castaneda Ecke ...

Verantwortung übernehmen

Don Juan: „Wenn ein Mann beschließt, etwas zu tun, dann muss er es durchführen, aber er muss die Verantwortung für das übernehmen, was er tut. Ganz egal, was er tut, er muss zuerst wissen, warum er es tut, und dann muss er zu seinen Taten schreiten, ohne an ihnen zu zweifeln oder sie zu bereuen. Alles, was ich tue, ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Die einfachste Sache, die ich tue, zum Beispiel, dich in die Wüste mitzunehmen, könnte sehr wohl meinen Tod bedeuten.

Der Tod wartet auf mich. Darum habe ich keinen Platz für Zweifel oder Reue. Wenn ich als Folge dessen, dass ich dich mitnehme, sterben muss, dann muss ich eben sterben. Du hingegen glaubst, dass du unsterblich bist, und die Entscheidungen eines Unsterblichen können bereut oder bezweifelt oder rückgängig gemacht werden. In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, mein Freund, da ist keine Zeit für Reue oder Zweifel. Da ist nur Zeit für Entscheidungen.“

Ich erzählte Don Juan die Geschichte meines Vaters, der mir in endlosen Vorträgen vorzuhalten pflegte, in einem gesunden Körper wohne ein gesunder Geist und junge Männer sollten ihren Körper durch Härte und sportliche Wettkämpfe beherrschen lernen. Er war damals noch jung; als ich acht war, war er erst siebenundzwanzig.

Normalerweise kam er im Sommer aus der Stadt, wo er Unterricht gab, um wenigstens einen Monat mit mir auf der Farm meiner Großeltern zu verbringen, wo ich lebte. Es war stets ein schlimmer Monat für mich. Ich erzählte Don Juan ein Beispiel für das Verhalten meines Vaters, das, wie ich glaubte, auf die gegenwärtige Situation zutraf.

Fast unmittelbar nach der Ankunft auf der Farm drängte mein Vater darauf, mit mir einen langen Spaziergang zu machen, so dass wir über alles sprechen konnten, und während wir gingen, machte er Pläne, wie wir jeden Morgen um sechs Uhr schwimmen gehen würden. Abends stellte er den Wecker auf fünf Uhr dreißig, um genügend Zeit zu haben, denn um Punkt sechs mussten wir im Wasser sein. Und wenn dann morgens der Wecker rasselte, sprang er aus dem Bett, setzte die Brille auf und ging zum Fenster, um hinauszuschauen. Den Monolog, der dann folgte, konnte ich sogar noch auswendig.

„Hm … etwas bewölkt heute. Hör mal, ich lege mich noch mal gerade fünf Minuten hin, ja? Nicht länger als fünf Minuten. Ich will nur eben meine Muskeln strecken und ganz wach werden.“ Und dann schlief er regelmäßig wieder ein, bis zehn Uhr, manchmal bis Mittag. Was mich am meisten ärgerte, sagte ich zu Don Juan, sei seine Weigerung gewesen, seine offensichtlich falschen Entschlüsse aufzugeben. Jeden Morgen wiederholte er dieses Ritual, bis ich schließlich seine Gefühle verletzte, indem, ich mich weigerte, den Wecker zu stellen.

„Das waren keine falschen Entschlüsse“, sagte Don Juan, der offenbar die Partei meines Vaters ergriff. „Er konnte einfach nicht das Bett verlassen, das ist alles.“ „Auf jeden Fall“, sagte ich, „bin ich immer misstrauisch gegenüber unrealistischen Entschlüssen.“ „Und was wäre denn ein realistischer Entschluss?“ fragte Don Juan mit verhaltenem Lächeln.

„Wenn mein Vater sich gesagt hätte, dass er nicht um sechs Uhr morgens, sondern vielleicht erst um drei Uhr nachmittags schwimmen gehen wollte.“ „Deine Entschlüsse verstoßen gegen den Geist“, sagte Don Juan mit sehr ernster Miene. Ich meinte sogar einen Anflug von Trauer in seiner Stimme zu bemerken. Wir schwiegen lange. Mein Unwille war verflogen. Ich dachte an meinen Vater.

„Er wollte nicht um drei Uhr nachmittags schwimmen. Siehst du das nicht ein?“ fragte Don Juan. Seine Worte ließen mich auffahren. Ich sagte Don Juan, dass mein Vater schwach gewesen sei, genau wie seine Welt idealer Taten, die er nie ausgeführt hat. Ich schrie beinah. Don Juan sagte kein Wort. Er wiegte langsam und rhythmisch den Kopf. Ich war furchtbar traurig.

Es machte mich immer schwermütig, an meinen Vater zu denken. „Du hieltst dich für stärker, nicht wahr?“ fragte er beiläufig. „Ja, das tat ich“, sagte ich und begann, ihm von all den emotionellen Qualen zu erzählen, die mein Vater mir zugefügt hatte, aber er unterbrach mich. „War er gemein zu dir?“ fragte er. „Nein.“ „War er dir gegenüber kleinlich?“ „Nein.“ „Tat er für dich alles, was er konnte?“ „Ja.“ „Was war dann an ihm auszusetzen?“

Wieder schrie ich, er sei schwach gewesen, aber dann fing ich mich wieder und mäßigte meine Stimme. Ich kam mir lächerlich vor, von Don Juan ins Kreuzverhör genommen zu werden. „Wenn du wütend wirst, dann fühlst du dich immer im Recht, nicht wahr?“ meinte er und blinzelte wie ein Vogel. Er hatte recht. Ich neigte dazu, mich im Recht zu fühlen, wenn ich wütend war. „Wenn du glaubst, dass du so viel stärker warst als dein Vater, warum bist du dann nicht an seiner Stelle um sechs Uhr morgens schwimmen gegangen?“

Ich sagte, ich könne nicht glauben, dass er mich dies ernstlich frage. Ich hätte immer angenommen, es sei die Sache meines Vaters gewesen, um sechs Uhr morgens schwimmen zu gehen, nicht die meine. „Von dem Augenblick an, als du seinen Vorschlag akzeptiertest, war es auch deine Angelegenheit“, fuhr Don Juan mich an. Ich sagte, ich hätte sie nie akzeptiert und immer gewusst, dass mein Vater nicht ehrlich zu sich selbst war. Don Juan fragte mich ganz nüchtern, warum ich nicht damals meine Meinung geäußert hätte.

„So etwas sagt man nicht zu seinem Vater“, brachte ich als schwache Rechtfertigung vor. „Warum denn nicht?“ „Bei mir zu Hause tat man so etwas nicht, das ist alles.“ „Du hast schlimmere Sachen bei dir zu Hause gemacht“, erklärte er wie ein Richter und von oben herab. In seinen Worten lag eine so niederschmetternde Kraft, dass sie in mir widerhallten. Sie zerbrachen alle meine Verteidigungsversuche. Ich konnte nicht mit ihm streiten.

„Du beklagst dich“, sagte er sanft. „Du hast dich dein Leben lang beklagt, weil du nicht die Verantwortung für deine Entscheidungen übernimmst. Hättest du die Verantwortung für den Vorschlag deines Vaters, um sechs Uhr morgens schwimmen zu gehen, übernommen, wärst du notfalls allein schwimmen gegangen, oder du hättest ihm gleich beim ersten Mal, als er den Mund auftat, deine Meinung gesagt, nachdem du seine Ausflüchte kanntest. Du hast aber nichts gesagt. Daher warst du genauso verantwortlich wie dein Vater. Die Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen, heißt bereit sein, für sie zu sterben.“

„Halt, halt!“ rief ich. „Du verdrehst die Dinge.“ Er ließ mich nicht ausreden. Ich wollte ihm sagen, dass ich meinen Vater nur als Beispiel für unrealistisches Handeln angeführt hatte und dass niemand, der recht bei Trost ist, bereit sei, für etwas so Albernes zu sterben, wie um sechs Uhr morgens schwimmen zu gehen. „Es kommt nicht auf die Art der Entscheidung an“, sagte er, „ nichts ist ernster oder weniger ernst als alles übrige. Siehst du das nicht? In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist, gibt es keine kleinen oder großen Entscheidungen. Es gibt nur Entscheidungen, die wir angesichts unseres unausweichlichen Todes treffen.“


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